Ein himmlisches Festmahl

von Philipp Pulger


Vor nicht all zu langer Zeit - mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen - ereignete es sich, dass ein großer Herr ein Mahl halten wollte, denn er hatte ein großes Fest zu feiern. So setzte er sich mit seinen Dienern zusammen, um das Fest zu organisieren. Einige beauftragte er mit der Vorbereitung des Mahls. Sie sollten den Festsaal schmücken und aus den kostbarsten Zutaten ein himmlisches Festmahl bereiten. Andere Diener sandte er aus, um die Gäste einzuladen. Schließlich hatte er noch zwei besondere Diener, die ihm seit jeher gute Dienste geleistet hatten. Diesen Dienern ließ er festliche Gewänder anfertigen. Sie sollten die Gäste in den Festsaal geleiten.

Als nun der Tag des Festes gekommen war, trafen die Gäste in großer Zahl ein, um an dem Festmahl teilzunehmen. Nun war es aber so, dass die beiden Diener sich kürzlich erst gestritten hatten, welcher von ihnen wohl ihrem Herrn besser diene. Deshalb hatten sie sich für das Fest einen Wettbewerb überlegt. In den Festsaal führten nämlich zwei große Türen. Jeder sollte nun versuchen, die meisten Gäste durch seine Tür in den Festsaal zu geleiten.

Ein jüngerer Diener hatte die beiden belauscht, als sie diesen Wettstreit unter sich ausmachten. Deshalb rannte er jetzt zu seinem Herrn, um ihm davon zu berichten. Er war ganz außer sich, und fragte sich, was denn der Herr mit den beiden untreuen Dienern anstellen würde. Doch zur großen Überraschung seines jungen Dieners blieb der Herr gelassen. Er lächelte nur und sagte: "Sollen sie ihren kleinen Wettstreit ausfechten, schließlich führen beide Türen in den Festsaal. Wenn das Mahl dann beginnt, werde ich sie schon wieder zur Vernunft bringen." Etwas verdutzt zog der junge Diener ab. Aber er vertraute seinem Herrn und widmete sich wieder seinen Aufgaben.

Während der junge Diener noch auf dem Weg zurück in die Küche war, war der Wettstreit unter den beiden besonderen Dienern des Herrn schon voll entbrannt. Mit einladenden Handbewegungen und anderen Freundlichkeiten versuchten sie, die Gäste durch ihre Tür zu locken. Die Gäste waren begeistert, dass sie von so freundlichen Dienern begrüßt wurden. Sie entschieden sich mal für die eine, mal für die andere Tür. Als der ältere der beiden Diener merkte, dass der Wettstreit schon lange Zeit unentschieden war und sich kein Vorteil für ihn abzeichnete, begann er, die Gäste anzusprechen. "Kommen sie doch durch diese Tür, auf dieser Seite sind noch mehr Plätze frei." Und tatsächlich gelang es ihm, mehr Gäste durch seine Tür zu locken. Als der jüngere Diener den Erfolg seines älteren Kollegen bemerkte, begann er ebenfalls, die Gäste anzusprechen. Und weil ihm noch einige weitere Gründe einfielen, warum es besser sei, durch seine Tür in den Festsaal zu gelangen, holte er den Vorsprung des älteren Dieners schnell wieder ein.

Das konnte der ältere Diener nicht auf sich sitzen lassen, und so stellte er sich einfach vor die Tür seines jüngeren Gegners und versperrte den Weg. "Gehen sie durch die andere Tür, dies ist der falsche Weg." Er hatte nicht lange Erfolg mit dieser Methode. Denn sein jüngerer Kontrahent stellte sich schnell vor die andere Tür und versperrte dort ebenfalls den Weg.

Schnell bildete sich eine lange Schlange von Gästen, die jetzt nicht mehr in den Festsaal gelangen konnten. Zuerst lachten sie noch über die beiden Streithähne. Als die sich aber nicht durch ruhiges Zureden der Gäste zur Vernunft bringen ließen, beschwerten sie sich bei den anderen Dienern. Ein zweites Mal ging deshalb der junge Diener zu seinem Herrn und berichtete ihm.

Einige Sorgenfalten zierten jetzt die Stirn des großen Herrn. Dass der Wettstreit der beiden Diener so eskalieren würde, hatte er nicht erwartet. So begab er sich schließlich selbst zu den beiden Streithähnen, um sie zur Vernunft zu bringen.

Doch als der Herr an den Türen des Festsaals ankam, traute er seinen Augen nicht. Die beiden Diener hatten mittlerweile die Türen verbarrikadiert, weil einige Gäste sich an ihnen vorbei in den Festsaal gedrängt hatten. Dort standen sie nun und verteidigten den Eingang ihres Gegners, damit ja kein Gast durch die falsche Tür ginge. Der Herr redete auf sie ein, doch sie waren so in ihren Wettkampf vertieft, dass sie ihn gar nicht bemerkten. Weil der Herr die beiden Diener während ihres langen Dienstes für ihn lieb gewonnen hatte, wollte er sie nicht verletzen, indem er sie mit Gewalt von den Türen wegzerrte. Allerdings standen noch viele Gäste vor dem Festsaal, die alle am Mahl teilnehmen sollten. Deshalb ließ der Herr ein Loch in die Wand reißen, damit die Gäste in den Saal kommen konnten.

Als die Diener das bemerkten, wussten sie zuerst nicht, was sie tun sollten. Sie konnten und wollten sich ihrem Herrn schließlich nicht in den Weg stellen. So beschlossen sie schließlich, weiterhin den Eingang ihres Gegners zu bewachen, damit bloß keiner durch den falschen Eingang in den Saal gelänge. Die Gäste, die weiterhin eintrafen, gingen aber durch das Loch in der Wand in den Saal. Einige von ihnen belächelten die beiden Diener, andere bedauerten sie. Im Saal aber begann das himmlische Festmahl, das der große Herr bereitet hatte. Und der große Herr und seine Gäste feiern noch heute, und wenn sie nicht zur Vernunft gekommen sind, stehen die Diener immer noch vor den Türen. Vielleicht grüßt du sie von mir, wenn du zum Fest gehst?

© Philipp Pulger (09.09.2000)


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