Briefe (auch als Lesung)mp3 (755 kb)

von Philipp Pulger


Es war an einem Sommertag, irgendwann und irgendwo. Ein Mann saß einsam auf einer Parkbank. Es war noch früh am Morgen, und die Kirschbäume hatten gerade ihre Blüten abgeworfen. Sie lagen im taufeuchten Gras. Es war noch sehr ruhig im Park, nur ein paar Vögel begrüßten die aufgehende Sonne mit ihrem morgendlichen Gesang. Die Schönheit dieses Sommermorgens betrübte den einsamen Mann auf der Bank im Park.

Er war der einzige Mensch im Park an diesem frühen Morgen. Das wirre Leben in der Stadt würde erst in ein paar Stunden beginnen. Der Mann liebte es, so früh am Morgen in den Park zu gehen, und er hatte angefangen, die gedrückte Stimmung zu lieben, in die ihn seine morgendlichen Parkbesuche versetzten.

Der Mann schrieb einen Brief. Er schrieb auf hellgrauem Briefpapier, auf das - wie ein Wasserzeichen - ein strahlend weißer Schwan gedruckt war. Er schrieb in königsblauer Tinte, mit großen, geschwungenen Buchstaben. Er schrieb nie viel. Er schrieb an diesem Morgen: Meine Liebste, ich sehne mich nach Dir. Ich wünschte, Du könntest die Schönheit dieses Sommermorgens mit mir teilen. Ohne Dich versetzt mich das fröhliche Morgenlied der Vögel in tiefste Melancholie. Könntest Du doch bei mir sein...

Langsam faltete der Mann den Briefbogen zusammen. Er nahm einen Umschlag aus seiner Tasche, auf den ebenfalls ein weißer Schwan gedruckt war. Er steckte den Briefbogen in den Umschlag, verschloss ihn aber nicht. Auf den Umschlag schrieb er in großen, geschwungenen Buchstaben: An meine Liebste. Er steckte den Umschlag in seine Tasche. Langsam schloss er sie und stand auf.

Der Mann ging los. Er ging vorbei an den Kirschbäumen, an Blumenbeeten. Dann kam er durch ein kleines Waldstück. Er ging vorbei an einem Spielplatz. Die Geräte strahlten in der Morgensonne, als ob sie sich auf die fröhlichen Kinder freuten, die tagsüber auf dem Spielplatz spielen würden. Schließlich gelangte er zu dem kleinen Bach, der durch den Park floss. Vorsichtig ging er hinunter zum Ufer. Er nahm den Briefbogen aus dem Umschlag. Nachdem er den Umschlag zurück in seine Tasche gesteckt hatte, faltete er aus dem Bogen ein kleines Boot. Vorsichtig setzte er das Boot auf das Wasser und gab ihm zum Abschied einen leichten Stoß.

Dann ging er hoch, zurück auf den Weg. Er ging vorbei am Spielplatz, durch das kleine Waldstück, vorbei an den Blumenbeeten zurück zu seiner Bank unter den Kirschbäumen und setzte sich. Da saß der Mann wieder auf seiner Bank, an diesem schönen Sommermorgen, irgendwann und irgendwo.

© Philipp Pulger


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