Neulich ging es mir ziemlich dreckig. Das ging schon ziemlich lange so, so dass sich mir der Gedanke aufdrängte, dass es nötig sei, etwas zu tun. Die Hausmedizin hatte soweit zwar zwischenzeitliche Linderung, aber keine Heilung bewirken können. Also musste ein Fachmann her. Ich ging zu meinem Arzt.
"Ihnen geht es ziemlich dreckig, so wie ich das auf den ersten Blick beurteilen kann", begrüßte er mich, "wir müssen unbedingt etwas tun." Das wusste ich selber. Aber vielleicht wusste mein Arzt ja was. "Wir müssen das Übel an der Wurzel packen." Das klang sehr überzeugend, mein Arzt wusste, was er tat. "Es gibt zwar kein Allheilmittel für Ihr Problem" - ach, nein? - "aber ich habe natürlich ein Rezept für sie." Das war zu erwarten. Er kritzelte etwas auf einen Rezeptzettel, das ich nicht entziffern konnte, aber der Apotheker war sicherlich ausgebildet in Kryptographie.
Tatsächlich, ich gab ihm das Rezept und schon wenig später hatte ich ein Fläschchen Medizin in der Hand. Die Farbe war nicht mein Geschmack, um nicht zu sagen ekelig, und als sich die pinke, dickflüssige Masse über meinen Geschmacksnerven ausbreitete, ging es mir noch viel schlechter als vorher. Gute Medizin ist bekanntlich bitter, und so ließ ich einige Zeit die Tortur dieser Medizin über mich ergehen. Als sich nach langer Zeit immer noch nichts tat, und ich das Gefühl hatte, dass es mir noch sehr viel dreckiger als vorher ging, beschloss ich, erneut einen Arzt aufzusuchen.
Die Urlaubsvertretung meines Hausarztes sah mich an, warf dann einen Blick in meine Krankenakte und wollte mir anschließend weismachen, dass es mir schon erheblich besser ginge, dank der Medizin, die mein Hausarzt mir verschrieben hatte. Als ich darauf bestand, dass es mir immer noch dreckig ginge, ließ sich die Ärztin dazu hinreißen, mir ein neues Rezept auszustellen.
Die Flüssigkeit war jetzt nicht mehr ganz so dickflüssig, die Farbe war undefinierbar und der schlechte Geschmack zog mir die Schuhe aus. Was tut man nicht alles, um gesund zu werden. Nach einer Woche stellten sich erhebliche Nebenwirkungen ein. Alle zwei Stunden bekam ich einen Schwindelanfall und außerdem hatte ich einen bräunlichen Ausschlag, der nach einer weiteren Woche anfing, entsetzlich zu jucken.
Langsam hatte ich es satt. Es ging mir viel dreckiger als vorher, und die Medizin, die mir helfen sollte, verschlimmerte meinen Zustand in einer Weise, die ich mir nicht hätte träumen lassen. Gab es denn keine Alternativen?
Ich ging zu einem Heilpraktiker. Mein Hausarzt hatte mich vor solchen Menschen gewarnt. Sie seien eine Gefahr für das gesamte Gesundheitswesen. Sie versprächen Heilung und böten nur Untergang. Diese Warnung dröhnte ständig in meinem Ohr, doch ich war verzweifelt.
Ganz so schlimm, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, war der Heilpraktiker dann doch nicht. Er war ein ganz netter Mensch, vielleicht etwas abgehoben und realitätsfremd, doch was bedeutete in meinem Zustand schon Realität? "Ihnen geht es ziemlich dreckig." Das wusste ich und hatte es auch schon oft genug von meinem Hausarzt gehört. "Ja, die Schulmedizin ist bei ihrem Problem natürlich ratlos." Das hatte ich schmerzlich erfahren müssen. "Es wird nicht leicht, sie zu heilen." Das klang ehrlich. "Aber ich habe natürlich ein Rezept." Das hatte ich befürchtet. Aber ich war verzweifelt. "Es gibt da eine seltene Pflanze, deren heilende Wirkung allerdings einem Wunder gleichkommt." Das klang etwas phantastisch, aber ich war verzweifelt. "Diese Pflanze wächst allerdings nur in einer sehr schwer zugänglichen Gegend." Ich wusste, die Sache hatte einen Haken. "Hier habe ich ein Foto und eine Karte. Sie müssen sich schon selber auf den Weg machen, es ist ja ihre Gesundheit und nicht meine." Ja, schon, aber war es nicht sein Job, für meine Gesundheit zu sorgen? "Viel Glück und gute Besserung!"
Wie ich zu dieser Pflanze kam, ist eine eigene Geschichte. Jetzt stehe ich hier, kurz davor sie zu pflücken. Plötzlich stehen meine Hausarzt und seine Vertretung neben mir. "Wie können sie das tun, sich auf diesen Scharlatan zu verlassen, jetzt, wo die Medizin gerade zu wirken beginnt? Sie müssen jetzt mit der bewährten Medizin weiter behandelt werden, sonst war alles umsonst." - "Aber, es geht mir doch so schlecht!" - "Das hat nichts zu sagen, sie sind auf dem Weg zur Besserung, riskieren sie nichts unüberlegtes!" Jetzt schaltet sich die Vertreterin ein. "Sie dürfen das nicht tun, jetzt, wo sie gerade auf dem Weg zur Besserung sind." Das sagte schon mein Hausarzt. "Bedenken sie die Gefahren." Mir geht es dreckig, so dreckig wie nie, und ich bin bereit, ein Risiko einzugehen. Ich greife nach der Pflanze. Mein Hausarzt und meine Vertreterin werden hysterisch. "Tun sie das nicht!" schreien sie mit vereinten Kräften. "Wenn sie das tun, bedeutet das ihren Untergang. Erst werden sie ganz rot im Gesicht, dann grün, und wenn es dann ganz dick kommt, dunkelrot!" Ich zögere. Was soll ich tun?
© Philipp Pulger (21.9.1998)
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